Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Wissenschaftliches, technologisches und kulturelles Wissen stehen heute in weltweiten Beziehungen.
Wie aber stand es um solche weltweiten Beziehungen in der Vergangenheit und welche Bedeutung hatten
sie für die Entwicklung des Wissens? Die Wissenschaftsgeschichte hat sich in der Tat
in den letzten Jahren vermehrt mit Austauschprozessen zwischen verschiedenen Kulturen beschäftigt,
dabei aber eher eine auf lokale Details konzentrierte Perspektive eingenommen.
Dies hat allerdings zu einem fragmentarischen Bild geführt, aus dem sich nur schwer ein globales
Verständnis gewinnen lässt. Auf der anderen Seite hat man Vergleichen-Untersuchungen durchgeführt,
etwa zur Entwicklung des Wissens in China und in Europa, dabei aber oft Gemeinsamkeiten und
Austauschprozesse unterschätzt, die diese Entwicklungen letztlich zu einem menschheitsgeschichtlich
zu verstehenden Prozess machen. Ähnlich wie die Geschichte des Lebens auf der Erde lässt sich
auch die Geschichte des Wissens als ein zusammenhängender Prozess begreifen, der zwar
von unzähligen lokalen Entwicklungen, Sackgassen und Neuanfängen geprägt ist, aber letztlich nur
in seiner Interdependenz zu verstehen ist. Aus dieser Perspektive hängen lokales Wissen und das
globalisierte Wissen der Wissenschaft enger zusammen, als man gemeinhin annimmt. Dies zu
verstehen ist auch für heutige Herausforderungen der Wissenschaft im Umgang mit Wissen relevant.
Betrachten Sie zum Beispiel die Globalisierung des Universitätscurriculums mit seiner klassischen
Einteilung in die Natur-, Sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächer, die sich zwischen
Mexico City, Paris, Mumbai und Shanghai kaum unterscheidet, obwohl das an diesen Orten jeweils
benötigte Wissen ohne Zweifel sehr unterschiedlich ist. Denken Sie etwa an soziale Gerechtigkeit und
nachhaltige Entwicklungen, die sich an den verschiedenen Orten der Welt jeweils sehr
unterschiedlich darstellen. Wovon ich Sie überzeugen möchte, ist, dass die Herausforderungen dieser Art
nicht nur eine politische und ethische Dimension haben, sondern Herausforderungen an die Erzeugung
und Verbreitung von Wissen darstellen und dass wir an die Schaffung einer neuen Wissensökonomie
denken müssen, die es uns immer weitergehend ermöglicht politische, wirtschaftliche und ethische
Probleme zugleich als konkrete Wissensprobleme anzugehen. In allen Prozessen der Wissenserzeugung
und Wissensverbreitung muss in Zukunft das Nachdenken über die historischen, gesellschaftlichen
und kulturellen Zusammenhänge von Wissen einen größeren Raum einnehmen. Das Phänomen der
Globalisierung lässt sich ohne eine solche umfassende Geschichte des Wissens, zu der sich die
Wissenschaftsgeschichte gerade weiterentwickelt, nicht zureichend verstehen. Es gibt nicht nur die
ökonomische und die politische Globalisierung, sondern auch eine Globalisierung des Wissens mit
seiner eigenen Dynamik. Jüngste Diskussionen über Globalisierung betonen regelmäßig zwei
scheinbar gegensätzliche Eigenschaften solcher Prozesse. Auf der einen Seite stehen Homogenisierung
und Universalisierung, die auf der anderen Seite dazu beitragen, dass die Welt immer komplexer und
unkontrollierbarer wird. Ökonomische Globalisierung zum Beispiel bedeutet die Dominanz des Weltmarktes
gegenüber lokalen Produktions- und Verteilungsmustern. Gleichzeitig provoziert sie Gegenbewegungen und
bringt verschiedenartige lokale Wirtschaftsweisen unter veränderten Bedingungen mit sich.
Globalisierung homogenisiert fraglos Kulturen und zerstört lokale Bräuche, aber sie stimuliert auch
aus moralischen und politischen Beweggründen, Anti-Globalisierungsbewegungen und Gegenkulturen.
Es scheint aber, dass der Gegensatz zwischen einer immer homogeneren, flachen Welt und einer
immer komplexeren Welt aus Netzwerken sozialer Beziehungen unzureichend ist, um die Dynamik von
Globalisierungsprozessen zu erfassen. Der von mir angeführte Gegensatz verdeutlicht viel mehr,
dass umfassende Globalisierungsprozesse als Ergebnis von verschiedenen, sich übereinander
ablagenden Schichten zu begreifen sind, wie zum Beispiel die Migration von Menschen,
Technologieverbreitung, die Expansion von Religionen oder das Entstehen von Mehrsprachigkeit.
Jeder dieser Prozesse hat seine eigene Dynamik und seine eigene Geschichte, aber erst ihre
Interaktion und im Besonderen ihre Verbindung mit Wissen charakterisieren die Globalisierung,
wie wir sie derzeit beobachten. Wissen stellt hierbei nicht nur einen weiteren Aspekt der
Globalisierung im Sinne einer Voraussetzung oder einer Konsequenz dar. Die Globalisierung von
Wissen bildet vielmehr einen relativ autonomen Prozess, der die Identität der Akteure von
Presenters
Prof. Dr. Jürgen Renn
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:28:34 Min
Aufnahmedatum
2012-11-16
Hochgeladen am
2013-05-13 12:00:26
Sprache
de-DE
Wird heute über Globalisierung gesprochen, versteht man darunter vornehmlich die Entwicklung transnationaler Märkte für Waren, Kapital und Arbeit. Dagegen wird die weltweite Ausbreitung von Wissen etwa in Form neuer Technologien oder Ideen als separater Vorgang betrachtet. Doch in der Geschichte der Menschheit waren globale Austauschprozesse stets auch von Wissenstransfer begleitet. Die heutige Situation ist das Ergebnis dieser historischen Prozesse und kann letztlich nur verstanden werden, wenn man auch die Wissensdimension berücksichtigt. Indem wir die Rolle des Wissens in diesen historischen Prozessen analysieren, verbessern wir also auch unser Verständnis der gegenwärtigen Globalisierung sowie künftiger Entwicklungen. Wir werden damit auch Antworten auf Fragen finden wie die, ob die Ökonomie des Wissens vorwiegend durch andere Globalisierungsvorgänge bestimmt wird, oder ob sich ihre Autonomie stärken lässt und damit auch ihr Potential, solche Prozesse zu lenken.