1 - Die Globalisierung des Wissens und ihre Geschichte [ID:2892]
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Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.

Wissenschaftliches, technologisches und kulturelles Wissen stehen heute in weltweiten Beziehungen.

Wie aber stand es um solche weltweiten Beziehungen in der Vergangenheit und welche Bedeutung hatten

sie für die Entwicklung des Wissens? Die Wissenschaftsgeschichte hat sich in der Tat

in den letzten Jahren vermehrt mit Austauschprozessen zwischen verschiedenen Kulturen beschäftigt,

dabei aber eher eine auf lokale Details konzentrierte Perspektive eingenommen.

Dies hat allerdings zu einem fragmentarischen Bild geführt, aus dem sich nur schwer ein globales

Verständnis gewinnen lässt. Auf der anderen Seite hat man Vergleichen-Untersuchungen durchgeführt,

etwa zur Entwicklung des Wissens in China und in Europa, dabei aber oft Gemeinsamkeiten und

Austauschprozesse unterschätzt, die diese Entwicklungen letztlich zu einem menschheitsgeschichtlich

zu verstehenden Prozess machen. Ähnlich wie die Geschichte des Lebens auf der Erde lässt sich

auch die Geschichte des Wissens als ein zusammenhängender Prozess begreifen, der zwar

von unzähligen lokalen Entwicklungen, Sackgassen und Neuanfängen geprägt ist, aber letztlich nur

in seiner Interdependenz zu verstehen ist. Aus dieser Perspektive hängen lokales Wissen und das

globalisierte Wissen der Wissenschaft enger zusammen, als man gemeinhin annimmt. Dies zu

verstehen ist auch für heutige Herausforderungen der Wissenschaft im Umgang mit Wissen relevant.

Betrachten Sie zum Beispiel die Globalisierung des Universitätscurriculums mit seiner klassischen

Einteilung in die Natur-, Sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächer, die sich zwischen

Mexico City, Paris, Mumbai und Shanghai kaum unterscheidet, obwohl das an diesen Orten jeweils

benötigte Wissen ohne Zweifel sehr unterschiedlich ist. Denken Sie etwa an soziale Gerechtigkeit und

nachhaltige Entwicklungen, die sich an den verschiedenen Orten der Welt jeweils sehr

unterschiedlich darstellen. Wovon ich Sie überzeugen möchte, ist, dass die Herausforderungen dieser Art

nicht nur eine politische und ethische Dimension haben, sondern Herausforderungen an die Erzeugung

und Verbreitung von Wissen darstellen und dass wir an die Schaffung einer neuen Wissensökonomie

denken müssen, die es uns immer weitergehend ermöglicht politische, wirtschaftliche und ethische

Probleme zugleich als konkrete Wissensprobleme anzugehen. In allen Prozessen der Wissenserzeugung

und Wissensverbreitung muss in Zukunft das Nachdenken über die historischen, gesellschaftlichen

und kulturellen Zusammenhänge von Wissen einen größeren Raum einnehmen. Das Phänomen der

Globalisierung lässt sich ohne eine solche umfassende Geschichte des Wissens, zu der sich die

Wissenschaftsgeschichte gerade weiterentwickelt, nicht zureichend verstehen. Es gibt nicht nur die

ökonomische und die politische Globalisierung, sondern auch eine Globalisierung des Wissens mit

seiner eigenen Dynamik. Jüngste Diskussionen über Globalisierung betonen regelmäßig zwei

scheinbar gegensätzliche Eigenschaften solcher Prozesse. Auf der einen Seite stehen Homogenisierung

und Universalisierung, die auf der anderen Seite dazu beitragen, dass die Welt immer komplexer und

unkontrollierbarer wird. Ökonomische Globalisierung zum Beispiel bedeutet die Dominanz des Weltmarktes

gegenüber lokalen Produktions- und Verteilungsmustern. Gleichzeitig provoziert sie Gegenbewegungen und

bringt verschiedenartige lokale Wirtschaftsweisen unter veränderten Bedingungen mit sich.

Globalisierung homogenisiert fraglos Kulturen und zerstört lokale Bräuche, aber sie stimuliert auch

aus moralischen und politischen Beweggründen, Anti-Globalisierungsbewegungen und Gegenkulturen.

Es scheint aber, dass der Gegensatz zwischen einer immer homogeneren, flachen Welt und einer

immer komplexeren Welt aus Netzwerken sozialer Beziehungen unzureichend ist, um die Dynamik von

Globalisierungsprozessen zu erfassen. Der von mir angeführte Gegensatz verdeutlicht viel mehr,

dass umfassende Globalisierungsprozesse als Ergebnis von verschiedenen, sich übereinander

ablagenden Schichten zu begreifen sind, wie zum Beispiel die Migration von Menschen,

Technologieverbreitung, die Expansion von Religionen oder das Entstehen von Mehrsprachigkeit.

Jeder dieser Prozesse hat seine eigene Dynamik und seine eigene Geschichte, aber erst ihre

Interaktion und im Besonderen ihre Verbindung mit Wissen charakterisieren die Globalisierung,

wie wir sie derzeit beobachten. Wissen stellt hierbei nicht nur einen weiteren Aspekt der

Globalisierung im Sinne einer Voraussetzung oder einer Konsequenz dar. Die Globalisierung von

Wissen bildet vielmehr einen relativ autonomen Prozess, der die Identität der Akteure von

Teil einer Videoserie :

Presenters

Prof. Dr. Jürgen Renn Prof. Dr. Jürgen Renn

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:28:34 Min

Aufnahmedatum

2012-11-16

Hochgeladen am

2013-05-13 12:00:26

Sprache

de-DE

Wird heute über Globalisierung gesprochen, versteht man darunter vornehmlich die Entwicklung transnationaler Märkte für Waren, Kapital und Arbeit. Dagegen wird die weltweite Ausbreitung von Wissen etwa in Form neuer Technologien oder Ideen als separater Vorgang betrachtet. Doch in der Geschichte der Menschheit waren globale Austauschprozesse stets auch von Wissenstransfer begleitet. Die heutige Situation ist das Ergebnis dieser historischen Prozesse und kann letztlich nur verstanden werden, wenn man auch die Wissensdimension berücksichtigt. Indem wir die Rolle des Wissens in diesen historischen Prozessen analysieren, verbessern wir also auch unser Verständnis der gegenwärtigen Globalisierung sowie künftiger Entwicklungen. Wir werden damit auch Antworten auf Fragen finden wie die, ob die Ökonomie des Wissens vorwiegend durch andere Globalisierungsvorgänge bestimmt wird, oder ob sich ihre Autonomie stärken lässt und damit auch ihr Potential, solche Prozesse zu lenken.

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